WiYou.de - Ausgabe 05/2014 - offizielles Messemagazin zum Forum Berufsstart - page 65

Zehn Minuten
Wenn Sonntagvormittagfrüh das Handy klingelt, dann kann´s eigentlich nur eine sein: Mama! Ich weiß nicht, wie
lange es schon klingelt, als ich endlich wach genug bin, um ranzugehen: „Hmm.“ „Na, liegst du etwa noch im Bett?“
gutelaunt sie mir – etwas zu laut – ins verschlafen verstörte Ohr. „Hmm,“, murmle ich zurück und schiele mühsam
Richtung Wecker: 10:07 Uhr. „Ich bin grad in der Nähe, ich komm mal kurz vorbei, wenn ich nicht störe.“ Was of­
fenbar nur eine rhetorische Floskel ist, da sie mir keine Zeit zum Antworten lässt. „Ich bin in einer viertel Stunde
da, bis gleich!“ „Hmm“, ich lege das Handy weg und dreh mich wieder um. Dann wird mir allmählich bewusst, was
gerade passiert ist – und vor allem, was gleich noch passieren wird. Sehr gleich! Denn aus Erfahrung weiß ich, dass
ihre Viertelstunde immer eher zehn Minuten sind. Ich stehe auf, stolpere über die Katze ins Bad, wo ich versuche,
mir mit kaltem Wasser auf die Sprünge zu helfen.
Meine Mama ist die Beste, aber sie hat ein beeindruckendes Talent dafür, nicht dann spontan vorbeizukommen,
wenn ich gerade ein Date mit Meister Proper hatte, es bei mir bis in die letzte Wohnungsecke glänzend nach
Sommerfrische duftet, ich auf der fusselbefreiten Couch sitze und darauf warte, dass überraschend jemand vor
der Tür steht, um meine Sauberei zu bewundern. Nein, sie taucht grundsätzlich vor dem nächsten Putztag, bevor­
zugt nach einer arbeitsreichen Woche und einer etwas längeren –beziehungsweise dann kürzeren – Nacht auf,
wenn sich Klamotten vor der Waschmaschine, Geschirr in der Spüle und Altpapier im Flur stapeln. Dass sie sich da­
für vorher nun überhaupt telefonisch ankündigt, ist ein über die Jahre hart erkämpfter Fortschritt.
10: 09 Uhr. Die Katze fütternd versuche ich einen Notfallplan aus dem Nachtshirtärmel zu schütteln, was mich wei­
tere zwei Minuten kostet, aber nichts bringt. Das mit dem Denken läuft noch nicht. Ich beschließe deshalb, noch
eine Minute zu opfern: für Kaffee. Ich sondiere die Lage, während ich aufs Pling der Espressomaschine warte. Schon
der Geruch des Koffeins setzt ungeahnte Kräfte frei. In Windeseile ist das schmutzige Geschirr so umgeschichtet,
dass der Teller­Tassen­Topf­Berg um die Hälfte schrumpft und nun zumindest nicht mehr wie der Mount Everest
aus dem Spülbecken ragt. Die Fast­Food­Überreste vom Vorabend werden im Ofen zwischengeparkt, die Klamotten
farblich unsortiert in die Waschmaschine gestopft und alles, was nicht zum festen Interieur von Wohnzimmer, Küche
und Flur gehört, wandert ins Schlafzimmer, hinter die Tür. Falls Mama wieder – natürlich versehentlich – das Schlaf­
mit dem Badezimmer verwechselt. Ich komme ins Schwitzen. 10:14 Uhr. Inzwischen ist der Kaffee fertig. Mit der
Tasse in der Hand lasse ich den Staubsauger über die Fußbodenbereiche fliegen, die nicht vom krümelschluckenden
Hochflorteppich bedeckt sind, Mama aber beim Sitzen auf der Couch länger im Blick haben wird und stelle dabei
eine Rundenbestzeit auf, bei der selbst Formel­1­Rennfahrer neidisch werden würden. 10:16 Uhr. Das ist gut, reicht
aber vermutlich nicht mehr, um den Papiermüll runter in den Container zu bringen, vor allem, weil ich dazu noch
etwas Nachbarschaftstaugliches anziehen müsste. Also raus auf den Balkon damit. Dort ist auch noch Platz für
leere Flaschen und die leicht vor sich hinvegetierende, nicht mehr so richtig grüne Grünpflanze, die den Blick zu
sehr auf die Fenster lenken würde. Denn weil sich Mama einen sehr sonnigen Sonntag ausgesucht hat, wird offen­
sichtlich, dass die nicht gestern erst geputzt wurden. Ich stelle die Jalousien so ein, dass sie gerade noch genügend
Tageslicht hineinlassen, um kein elektrisches zu brauchen, was nebenbei auch gleich noch die Staubkörner im Regal
gegenüber unsichtbarer werden lässt. 10:17 Uhr. Es klingelt.
Schussi, eure Mamu
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